Was wir zeigen und messen wollen

Cavendish hat mit seinem Experiment nicht nur gezeigt, wie man die Gravitation auch zwischen zwei irdischen Körpern anschaulich nachweisen kann, sondern darüber hinaus eine Methode entwickelt, wie man die Konstante G in dem Newtonschen Gravitations­gesetz experimentell bestim­men kann. Nur wer G kennt, kann das Gravitationsgesetz in der Praxis an­wen­den, sei es etwa zur Berechnung der Masse von Planeten oder der ersten kosmischen Ge­schwin­digkeit, auf die ein künstlicher Himmelskörper be­schleunigt werden muss, um auf einer bestimmten Umlaufbahn über einen längeren Zeitraum die Erde umkreisen zu können.

An dieser Stelle sei noch einmal daran erinnert, dass die Gravitations­konstante G eine fundamentale und universelle Naturkonstante ist, deren Wert einzig und allein empirisch, also mit einem Experiment bestimmt werden kann. So liegt es nahe, dass auch wir mit unserer webgesteuerten Torsions­drehwaage die Gravitationskonstante G messen wollen. Aber nicht, dass jemand ernsthaft glaubt, wir wollten G mess­technisch bestimmen, um der physikalischen Referenz­liste einen weiteren Wert hinzuzufügen – das machen bereits andere mit ganz ande­ren Mitteln und sehr viel besser.[1] 

Uns geht es vor allem darum, die durch die Gravitation verursachte Anziehung zwischen zwei Körpern zu demonstrieren, die aus unserem alltäglichen Erfahrungsbereich stammen, und das mit einem Versuch, den auch andere durchführen und miterleben können – deshalb die webbasierte Versuchssteuerung und die Webcams. Insofern zielt unser Experiment in erster Linie auf die Qualität der Gravitation. Sie soll der Anschauung auch am Beispiel von Gegenständen unserer alltäglichen Erfahrung zugänglich gemacht werden. Eine der größeren Kugeln wiegt gerade einmal 1,5 kg, eine Masse, wie wir sie aus unseren eigenen empirischen Alltagserfahrungen etwa mit den Einkäufen von Bananen oder Kartoffeln kennen.

Aber da wir uns nun schon die Mühe gemacht haben, sind wir neugierig geworden, und würden auch ganz gerne wissen, welchen Wert unsere Apparatur für die Gravitationskonstante G liefert. Daher sehen unsere Hinweise und Empfehlungen zur Auswertung der mit unserer Versuchseinrichtung be­stim­m­baren Messwerte die Ermittlung eines Wertes für die Gravitations­konstante vor, auch wenn die erzielbaren Genauigkeitswerte eher bescheiden sind.

Wer den Versuch selbst durchführen möchte, wird zugleich die vielfältigen Probleme kennenlernen, die bei dem Umgang mit einer so empfindlichen Messanordnung auf­treten können. Nur in einem Real­ex­peri­ment sind derartige Schwierigkeiten un­mit­tel­bar erfahrbar. Auch solche, nicht durch mathe­ma­tische Simulation reingespülte Erfahrungen der physikalischen Realität zu ermöglichen, ist eines unserer An­liegen.

Übrigens: Der vom Committee on Data for Science and Technology (CODATA) em­pfohlene Wert für die Gravitations­konstante (der sog. Literaturwert) beträgt zur Zeit

G = 6,674 08 · 10-11 m3 kg-1 s-2 .

Standardunsicherheit: 0,000 31 · 10-11 m3 kg-1 s-2 

Die Gravitationskonstante G ist nach wie vor jene Naturkonstante, die bislang am ungenauesten bestimmt worden ist. Da über die ersten drei bis vier Ziffern hinaus eine relativ hohe Unsicherheit besteht, sind die darauf spezialisierten physikalischen Institute ständig auf der Suche nach genaueren Werten. Der jeweils aktuelle und international anerkannte Wert der Gravitationskonstanten kann jederzeit von der Homepage des National Institute of Standards and Technology (NIST) in Maryland (USA) abgerufen werden.

 


[1] Näheres zu modernen und hochpräzisen Versionen ei­ner Gravitations­dreh­waage fin­den Sie in dem Auf­satz von Fabian Heitsch: Gravi­tationskonstante genauer bestimmt. in: Sterne und Welt­­raum (SuW), Heft 12/2000, S. 1037. Der Verlag dieser Zeitschrift hat uns freund­licherweise diesen Bei­trag zur Verfügung gestellt. Eine detaillierte historische Darstellung der Bemühungen verschiedener Forscher um eine quantitativen Bestimmung der Gravitationskonstanten von Cavendishs Zeiten bis in die Moderne gibt Petzold, Hartmut: Eine Berliner Waage im Münchner Deutschen Museum, München 2020. Eine Kurzfassung findet sich auf den Seiten 21–30, zur aktuelleren Entwicklung siehe S. 178–186. Eine neue Methode zur Bestimmung der Gravitationskonstanten wurde 2022 an der ETH Zürich entwickelt. Der Versuchsaufbau besteht aus zwei in Vakuumkammern aufgehängten Balken. Den einen versetzen die Forschenden in Vibration. Durch die Gravitationskopplung begann auch der zweite Stab minimal (im Pikometerbereich – also ein Billionstel Meter) zu vibrieren. Vgl. https://idw-online.de/de/news798243 

Stand: 29.07.2022

Gravitationsdrehwaage heute: Präzisionsmodell der University of Washington in Seattle (USA)

Näheres zu dieser modernen und hochpräzisen Version ei­ner Gravitations­dreh­waage fin­den Sie in dem folgenden Auf­satz von Fabian Heitsch: Gravi­tationskonstante genauer bestimmt. in: Sterne und Welt­­raum (SuW), Heft 12/2000, S. 1037. Der Verlag dieser Zeitschrift hat uns freund­licherweise diesen Bei­trag zur Verfügung gestellt.