
Bedeutung und Funktion des Gravitationsgesetzes
In einem lesenswerten Aufsatz hat Richard Feynman das Newtonsche Gravitationsgesetz als »Schulbeispiel für ein physikalisches Gesetz« bezeichnet. Es sei ein »großes Gesetz« und »die bedeutendste Verallgemeinerung, die dem menschlichen Geist je geglückt ist.«[1] Beeindruckend sei vor allem seine Einfachheit: »Die Gravitation ist einfach und darum schön.«[2] In einem anderen Essay heißt es bei Feynman: »Vergleichen Sie nur einmal die Verwirrung, den Mangel an Selbstvertrauen, das unvollständige Wissen vergangener Epochen und ihre endlosen Debatten und unauflöslichen Paradoxien mit der Klarheit und Einfachheit dieses Gesetzes – der Tatsache, daß alle Monde, Planeten und Sterne einer derart einfachen Regel unterliegen und daß darüber hinaus der Mensch dies verstehen und daraus folgern konnte, wie die Planeten sich bewegen müßten! Daß erklärt den Erfolg der Naturwissenschaften in den darauffolgenden Jahren, denn es ließ hoffen, andere Phänomene unserer Welt gehorchten möglicherweise ebenfalls so wunderbar einfachen Gesetzen.«[3]
Auf die historische Bedeutung der Newtonschen Theorie als erste vollständige Theorie der modernen Naturwissenschaft und des daraus gewonnenen Gravitationsgesetzes als dem in der damaligen Zeit wohl bedeutsamstem empirischen Naturgesetz, wurde bereits im vorangegangenen Abschnitt hingewiesen. Bleibt zu fragen, was man mit dem Wissen über die Gravitation und der Kenntnis des Gravitationsgesetzes anfangen kann. Naheliegend ist die Möglichkeit, mit Hilfe des Gravitationsgesetzes die Anziehungskraft zwischen zwei Massen oder andere Größen, die in dem Gesetz enthalten sind, zu berechnen. Darüber hinaus lassen sich Erscheinungen wie beispielsweise die folgenden erklären und physikalisch begründen:
- Warum die Kraft, die den Mond auf seiner Umlaufbahn hält, ihrem physikalischen Wesen nach von gleicher Natur ist wie die, die die Gegenstände zur Erde anzieht.
- Wie man die Geschwindigkeit berechnen kann, auf die man einen Körper beschleunigen muss, dass er nicht mehr zur Erde zurückfällt, sondern sie umläuft, oder gar deren Anziehungsbereich verlässt.
- Warum die Bahnen der Planeten Ellipsen sein müssen (Begründung der Keplerschen Gesetze).
- Erscheinungen der Gezeiten: Warum sich die Wassermassen bei den wechselseitigen Übergängen von Ebbe und Flut in Bewegung setzen.
- Dass die Erde rund ist, weil alle Massen zu einem inneren Zentrum, dem Erdmittelpunkt, hin angezogen werden – allerdings nicht ganz rund, weil sie durch die Rotation um die eigene Achse an den Polen abgeplattet wird.
- Wie man Himmelskörper in unserem Planetensystem voraussagen kann, obwohl sie noch nicht sichtbar sind.
- Was Atome und Galaxien zusammenhält, der Schwerkraft also keine Grenzen gesetzt sind.
- Wie neue Sterne entstehen und alte unsichtbar (schwarze Löcher) werden.
- Warum Körper mit unterschiedlichen Massen gleich schnell zur Erde fallen, sofern sie sich frei und unbehindert, also in einem materiefreien Raum (Vakuum) zur Erde bewegen können.
- Wie man die Masse und die Dichte der Erde oder anderer Planeten bestimmen kann.
Zwei in der Öffentlichkeit viel beachtete Ereignisse aus der jüngsten Zeit verweisen auf die Aktualität des Themas »Gravitation«:
- Im Januar 2016 sagen zwei Astrophysiker aus Pasadena (USA) auf der Basis der Newtonschen Gravitationstheorie die Entdeckung eines weiteren Planeten in unserem Sonnensystem voraus.[4] Mehr dazu im Kapitel 1 der folgenden Seite.
- Der Nachweis der von Einstein vorausgesagten Gravitationswellen. In einer internationalen Pressekonferenz der beteiligten Institute verkündeten Wissenschaftler im Februar 2016 einen vorläufigen Höhepunkt in der Geschichte der Gravitation: Was sich Einstein selbst nicht vorstellen konnte, nämlich den direkten experimentellen Nachweis von Gravitationswellen, weil sie nach seiner Einschätzung für eine Messung viel zu schwach seien, gelang Wissenschaftlern der LIGO-Kooperation (Laser Interferometer Gravitation Wave Obsevatory) in den Observatorien von Hanford (Washington) und Livingston (Louisiana) unter maßgeblicher Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik in Hannover: Am 14. September 2015 wurden in den beiden US-Observatorien die durch den Zusammenstoß von zwei Schwarzen Löchern ausgelösten Gravitationswellen direkt mit einem Laser-Interferometer gemessen. Die kollidierten Schwarzen Löcher hatten eine 29- und 36-mal so große Masse wie unsere Sonne. Sie verschmolzen während der Kollision zu einem neuen Schwarzen Loch, das jedoch nur noch 62 Sonnenmassen schwer ist. Die Differenz von 3 Sonnenmassen wurde gemäß Einsteins Prinzip der Äquivalenz von Masse und Energie in Energie umgeformt und als Gravitationswelle abgestrahlt. In den US-amerikanischen LIGO-Instituten wurden dadurch ausgelöste Signale zweifelsfrei als Gravitationswelle identifiziert und registriert. Die erfolgreiche Messung einer weiteren Gravitationswelle folgt kurze Zeit später am 26.12.2016.[5]
Empfehlung: Recht anschaulich werden Gravitationswellen in dem Video »Gravitationswellen – Wellen in der Raumzeit« des Max-Planck-Instituts für Gravitationsphysik dargestellt.
Fortsetzung: Auf der folgenden Seite werden einige Anwendungen des Gravitationsgesetzes etwas genauer dargestellt werden.
[1] Feynman, Richard P.: Vom Wesen physikalischer Gesetze, München Zürich 1993 (Piper Verlag), Erstausgabe 1967, S. 19 und 20.
[2] ebenda, S. 47.
[3] Feynman, Richard P.: Sechs physikalische Fingerübungen (Erstausgabe 1995), München 2002 (Piper), S. 166 f.
[4] Vgl. Science, Latest News Jan. 20. 2016.
[5] Vgl. Darmstädter Echo vom 12.2.2016 und Die Zeit vom 11.2.2016. Siehe auch: Hornung, Helmut: Der Kosmos bebt, sowie ders.: Die Suche nach dem zarten Zittern und Mokler, Felicitas: Interview Gravitationswellen, in: Max Planck Forschung (MPF) Heft 1/2016, S. 79-81, S. 82-85 und S. 86-87. Zur erneuten Messung von Gravitationswellen am 26.12.2016: Gravitationswellen, die Zweite, in: Max Planck Forschung MPF Heft 2/2016, S. 47.
Vgl. auch die Wikipedia-Artikel »Gravitationswelle«, »LIGO« und »Gravitationswellendetektor«